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 Cairo Urban Gardener

Meine Freundin Bianca lebt seit vielen Jahren in Ägypten.  Seit einigen Jahren wohnt sie in einer Wohnung mit einer riesigen Dachterasse von 97 Quadratmetern.  Über die Jahre hat sie dort einen Dachgarten entwickelt, in dem sie ihrer Leidenschaft für Kakteen und Sukkulenten frönt, aber auch so viel Nutzpflanzen anbaut, wie in Topfkultur und dem dortigen Klima möglich ist.

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Für mich ist es immer wieder spannend zu sehen, was es  bedeutet, in einer so anderen Klimazone zu gärtnern und Topfgärtnern auf einer Dachterasse in einer 9 Mio. Stadt ist noch mal eine ganz andere Hausnummer. Die Motivation und die Liebe zum Wachsen und Gedeihen teilen wir aber gleicher Maßen.

Biancas Treiben hat ihr Besuche von Kamerateams beschert, so dass ich die Freude mit euch teilen kann, sie bei einem Rundgang über die Dachterasse zu begleiten. Da die Interviews in englisch sind, habe ich sie für die, die davon profitieren übersetzt:

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https://www.youtube.com/watch?v=fwEOEZghkSI&feature=youtu.be

“Also Sachen anzubauen liegt mir einfach im Blut, weil meine ganze Familie immer mit Agrikukltur zu tun hatte. Und so habe ich das mit der Muttermilch aufgenommen. Ich hatte schon immer das Bedürfnis jeden Samen einzutopfen, den ich irgendwo mitgenommen habe und jeden Steckling und jede Pflanze, die mir in die Finger kommt zum Wachsen zu bringen.”

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“Als ich nach Ägypten kam, habe ich damit natürlich weiter gemacht und natürlich ist mir eine Menge zunächst missglückt, weil die Jahreszeiten und Wetterverhältnisse in Ägypten ganz anders sind. Genauso wie die Pflanzen selbst und die Sorten, die es hier gibt.

Chard_B Eine andere Motivation für mein Gärtnern ist, Zugang zu selbst angebauten Nahrungsmitteln zu haben. Es ist einfach schön, wenn du am Kochen bist und du merkst, ach ich könnte eigentlich ein bisschen Petersilie oder Schnittlauch gebrauchen und du gehst einfach raus auf deine Terrasse und holst es dir. Es ist einfach alles da. Oder du willst dir was kochen und hast nicht die Zeit oder die Energie, wie auch immer, um einkaufen zu gehen und du kannst einfach raus gehen und ein paar Tomaten oder ein paar Paprika usw ernten. Problem gelöst, das Abendbrot ist gerettet!

Terrasse1-B Willst du mal kosten?…..

Die Jahreszeit hat schon einen großen Einfluss, darauf, was ich anbauen kann. Im Sommer ist es extrem heiß. Da gehen hauptsächlich Kräuter und noch ein paar Blattgemüsesorten wie Mangold, die das aushalten. Im Winter kann ich alles nur Erdenkliche anbauen: Tomaten, Kohlsorten, verschiedene Salate, Auberginen- Alles.

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Ja, das läuft nach dem  Versuch-Irrtum-Prinzip. Ich probiere immer neue Sorten uns so weiter. Aber für uns ist das ausreichend. Für das was, wir benötigen reicht es und was darüber hinaus wächst, teile ich einfach. Manchmal habe ich zum Beispiel raue Mengen an Tomaten. Wir teilen sie mit unseren Nachbarn, wir teilen sie mit unserer Familie und das macht mich glücklich.”

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Kommen euch einige Sorten hier bekannt vor? Ich bekomme Samen von Bianca und sie bekommt immer schön Sorten von mir.

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Samenernte bei den Tomaten.

-wahrscheinlich wurde sie hier gefragt, was ihr Antrieb ist-

“Das sind zwei Dinge: Das eine ist, es ist einfach schön in einer Stadt wie Kairo einfach ein bisschen grün um sich zu haben, wir müssen dafür nicht erst mal groß irgendwo hin fahren. Das Zweite ist, es ist  meine Art der Meditation! Im Garten zu arbeiten mit den Händen im Boden und an den Pflanzen, das ist für mich die reine Meditation. Es ist ein toller Ausgleich zu einem Bürojob.

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Ich hatte das Glück, dass ich, als ich  mit diesen Garten hier angefangen habe, auf meine bisherigen Gartenerfahrungen aufbauen konnte, die ich  zum Beispiel durch meinen  Vater sammeln konnte. Mein Vater war Agraringenieur. So hatte ich schon einen Grundstein. Und dann habe ich mich einfach ausprobiert. Sachen haben geklappt oder eben nicht und mit der Zeit hat sich das Projekt immer weiter entwickelt.

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Der Dachgarten ist keine Frage des Geldes. Das meiste, was es kostet, ist Zeit. Aber Geld kostet es nicht wirklich. Denn ich benutze eine Menge Recycling-Material: Zum Beispiel benutze ich die alten Gemüsekisten, die ich mit Folie auslege und dann bepflanze. Oder ich nehme die 6 und 18 Liter-Wasserflaschen, die ich zu selbstbewässernden Töpfen umfunktioniere. Screenshot - 11.02.2019 - 01:23:37

Ich nehme, was ich finde. Und man findet sogar richtige Töpfe, die auf der Straße rum liegen und auch die Hälfte der Pflanzen finde ich dort. Ich nutze all das. Oder ich nehme Abfall-Holz, um was zu bauen. Denn ich will zeigen, dass es möglich ist, all das zu tun.”

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Bianca unterrichtet diese Fertigkeiten auch in Workshops: Hier der “DIY Kitchen Garden: Teaching You How to Green Your Balcony” Hier zeigt sie gerade was zur richtigen Bodenzusammensetzung für die Topfpflanzen, aber auch, wie man die großen Flaschen zu Blumentöpfen upcycelt wird hier gezeigt. Die Kurse gehen sehr gut, das Thema ist in Cairo gerade ganz weit oben. Als der Kurs das erste mal angeboten wurde, hätten sich gleich 4000 Leute dafür über die sozialen Medien gemeldet.

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Bildquelle: https://scoopempire.com/gardening-diy/

Dieser Film ist älter, als der oben. Aber, er ist in der richtigen Jahreszeit gedreht, in der Bianca wetterbedingt auch Gemüse anbauen kann.

 Bianca zeigt auf eine Ringelblume:

Screenshot - 11.02.2019 - 01:17:53Bianca sagt: “Sie hat noch nicht geblüht, aber wenn sie blüht, sieht das so aus. Ich nutze sie, um daraus Calendula-Öl zu machen, zur Hautpflege. Es ist ein super Baby-Öl! Meine Nichte hat letztes Jahr ein Baby bekommen und das hier habe ich für sie gemacht. Ich habe eine Menge davon gemacht. Neulich war auf einmal meine Gesichtscreme alle. Ich war ganz verzweifelt, weil ich dringend welche brauchte- meine Haut war ganz trocken- und ich hatte nichts da, dann habe ich mein Öl ausprobiert und es war fantastisch.  Seit dem habe ich keine Cremes mehr kaufen müssen.”

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Der Film blendet ein, dass Bianca in den geeigneten Monaten 5 Kilo Essbares produziert. Das erreicht Bianca durch eine ausgefeilte Kompostwirtschaft! Hier erzählt sie davon, der Inhalt stammt aus einem Austausch vom Winter 2017/18, einige haben das vielleicht schon in der Kommentarleister zu der Zeit gelesen:

“Nach 3 Jahren Bewirtschaftung decke meinen Kompostbedarf mittlerweile zu 100 % selbst und dass bei Sommertemperaturen von bis zu 45°C im Schatten.

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Da ich ja nur in Töpfen gärtnere, habe ich mit der Zeit meine eigene etwas unkonventionelle Methode entwickelt:
Sämtliche Küchen- und Gartenabfälle kommen in eine 70l Tonne mit luftdichtem Deckel. Immer, wenn etwas hinzugefügt wird, gebe ich eine gute Handvoll Weizenschrot (sehr billig hier), oder Holzspäne oder auch Pipi-verklumptes Katzenstreu auf Bentonitbasis hinzu und sprühe EM (= Effektive Mikroorganismen) drüber. Meine Tonne hat allerdings keinen Hahn, so dass ich mehr “braunes” wie das Schrot oder das Katzenstreu benutzen muss, damit die Flüssigkeit aufgesaugt wird. In der Tonne fermentiert alles ohne unangenehme Gerüche.

kompost-bWenn die Tonne voll ist, ca. alle 3-4 Monate, wird der gesamte Inhalt gelehrt und mit trockenen Blättern, Pappschnipseln, etc. gemischt und in einen normalen Komposter für aeroben Kompost (ebenfalls Marke Eigenbau) gegeben um dort weiter durchzukompostieren. Die EMs geben dem Ganzen allerdings einen mächtigen Schub und bis die Bokashitonne wieder voll ist, ist meist alles gut durchkompostiert.
Insbesondere bei Obst ist hier oft nicht nachvollziehbar, ob die Waren Bio sind. Aber Bananen sind meist nicht gespritzt, Gemüse kaufe ich soweit möglich Bio und beim Rest ist es unmöglich es genau zu wissen. Aber darüber mache ich mir beim Kompost keine Gedanken.

Ich schneide die Bananenschalen übrigens immer klein und trockne sie und mische sie dann, zusammen mit Eierschalen, in den Erdmix für meine Kübeltomaten. Die freuen sich über die Extraportion an Kalium (Bananen) und Calcium (Eierschalen) und danken es mit reichem Fruchtansatz.
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Von Kompostwürmern halte ich mich fern, da ich erstens kein Geld dafür ausgeben will und die Kompostwurmhaltung im Kairoer Sommer auf der Dachterasse sehr schwierig ist. Letztes Jahr habe ich an einem heißen Tag mal 55°C in der Sonne gehabt!  Kompost_B

Ich “messe” die Feuchtigkeit im Kompost nach Gefühl: es muss leicht feucht sein, aber nicht nass. In meinen Workshops halte ich die Teilnehmer auch dazu an ein Gefühl dafür zu entwickeln. Das ist leichter als man denkt.
Ansonsten gibt es ja auch diese Kombisensoren mit denen man Bodenfeuchtigkeit, Temperatur, Ph-Wert und bei manchen sogar Lichtintensität und NPK messen kann. Ich hab so ein Gerät mal für 8€ in Deutschland gekauft, nutze es aber selten und eher zum Spaß. Hier gibt es die auch und sie kosten nicht viel.
Im Sommer ist mein Garten nur im Überlebensmodus. Hauptgartensaison für mich ist September bis Mai. Die Saisons ist ja für Dachgärtner und Landwirte gleich, nur dass der Stadgärtner zusätzlich zu den sowieso schon hohen Temperaturen noch mit dem Heat Island Effect zu kämpfen hat, also mit der zusätzlichen gespeicherten Wärme, die von Gebäuden und abgestrahlt wird. Das macht noch mal 5-7°C Unterschied.

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Außerdem baue ich natürlich einige Sorten an, die ich einfach in Deutschland lieb gewonnen habe und die es hier ansonsten nicht gibt. Kohlrabi zum Beispiel, oder Mangold. Alles andere, wie z.B. Kohl, Sellerie (aber nur Stauden, keine Knolle), Karotten, etc. wird auch in der Landwirtschaft angebaut.
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In Ägypten gibt es zwei Hauptpflannzzeiten: September/ Oktober und Januar/Februar. Darüber hinaus gibt es noch eine dritte Saison im April/Mai, in der allerdings nur ausgewählte und besonders hitzeresistente Sorten angebaut werden wie Melonen, Okra, Hibiskus und Jute.
Salat gibt es nur in der Wintersaison. Im Sommer ist es dafür viel zu heiß. Das einzige Grün, dass dann noch wächst ist Portulack. Eben deshalb finden sich Kohlrabi, Fenchel, Sellerie, Kohl etc. nur im Winter. Wobei mein Kohlrabi dieses Jahr über 5cm Durchmesser überhaupt nicht hinaus gekommen ist (es war zu warm), mein Mangold dafür aber überraschenderweise den Kairoer Sommer 2017 überlebt hat und weiter gedeiht.
Andere typische Wintersorten sind Zwiebeln, Bohnen und Karotten. Chilis und Paprika sind sehr hitzeresistent und werden meist im Sommer angebaut.

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Bianca hat aus Gründen des  Zeitmangels keinen eigenen Blog. Man findet sie aber auf dem großen blauen sozialen Netzwerk mit F unter Cairo Urban Gardnener.